01.01.2014   |   Mongolei

Mongolei: Küchenfabrik mit Eigenheiten

Tim Langerock, Consultant bei SCHULER Consulting, hat ein Unternehmen in der Mongolei bei dessen Planungen begleitet und berichtet über eine Küchenfabrik mit Eigenheiten.

Ein Artikel des Fachmagazins HK, Ausgabe 1/ 2014, www.hk-magazin.com

Die Mongolei zählt wohl zu den geheimnisvollsten Staaten der Erde. Außer der Hauptstadt Ulan-Bator ist kaum etwas bekannt über das dünn besiedelte Land, in dem nur 3,17 Mio. Menschen auf einer Fläche viereinhalb Mal so groß wie die Bundesrepublik leben. Die meisten von ihnen sind tief geprägt von nomadischen Traditionen. In einem solchen Umfeld eine Fabrik zu bauen, die Küchenmöbel herstellt, ist eine besondere Herausforderung. Tim Langerock, Consultant bei der Unternehmensberatung Schuler Consulting, hat die Planung begleitet. Im siebten Teil der HK-Serie „Länderreport“ erzählt er von seinen Erfahrungen.

Mit einer Fläche von rund 1,56 Mio. Quadratkilometern ist die Mongolei nach Kasachstan der zweitgrößte Binnenstaat der Welt. Seine Größe und seine Abgeschiedenheit sorgen dafür, dass das Land seit den Zeiten von Dschingis Khan in einen Dornröschenschlaf verfallen ist. Zwar gilt die Mongolei als rohstoffreich und verfügt über gewaltige Kohle, Kupfer- und Goldvorkommen. Dennoch verirren sich nur wenige ausländische Besucher in die schier endlosen Weiten aus Grasland, Trockensteppen und hohen Bergen.

Von den 3,17 Mio. Einwohnern leben rund 1,7 Mio. in der Hauptstadt Ulan-Bator. Während die lebendige Metropole weiter wächst, gibt es im Rest des Landes nur drei nennenswerte Städte. Alles Andere ist Natur, wild, schön und oft atemberaubend. Die Mongolei gehört zwar zu den Ländern, deren BIP am schnellsten wächst. Doch die Bevölkerung ist zutiefst verwurzelt in den Traditionen des Nomadentums. Hier eine Fabrik zu planen, die Küchenmöbel produziert, ist eine besondere Herausforderung.

Mein erster Aufenthalt in der Mongolei war von privater Natur. Ich machte Urlaub im Land des blauen Himmels und der unendlichen Weite. Etwas Ähnliches hatte ich auch schon in den USA erlebt. Doch was ich in der Mongolei erfahren durfte, übertraf dieses Gefühl der Freiheit um ein Vielfaches. Man stelle sich vor: In dem riesigen Flächenstaat gibt es quasi keine Zäune! Das Land ist öffentlich, jeder Bürger der Mongolei hat eine Fläche in m² garantiert. Diese wird aber nicht sein Eigentum, sondern er darf sie nur so lange nutzen, bis er weiterzieht. Diese Freiheit spürt man!

Doch mit der Freiheit wächst auch die Verantwortung. Als Tourist ist man vielleicht chinesische Verhältnisse gewohnt, wo alles organisiert ist und man beispielsweise an jeder Ecke Getränke und Essen an kleinen Ständen kaufen kann. So etwas gibt es in der ganzen Mongolei nicht. Ich bin damals mit einem Freund acht Tage lang von Ulan-Bator gen Westen gefahren, an Nationalparks vorbei, über die ewige Graslandschaft. Überraschend schnell, nur etwa zwei Stunden außerhalb der Stadt, hörte die Straße auf. Weiter ging es über eine Wiese mit Wagenspuren. Dort draußen brauchte es einen Jeep oder ein Offroad-Fahrzeug – und wenn es regnet ist der Allrad-Antrieb der beste Freund. In den allermeisten Gebieten des Riesenlandes gibt es weder Geschäfte noch Handyempfang noch eine Werkstatt für das Auto. Wer in dieser Landschaft überleben will, muss alles genau planen.

Wie kalkuliert man nun eine Küchenfabrik in einem so ungewöhnlichen, dazu auch noch halb gesättigten Markt? Zumal mit dem Ziel, dass sie langfristig auch bei ausländischem Konkurrenzdruck überleben soll? Um eine Antwort zu finden, muss man rückwärts rechnen. Zunächst gilt es, die Durchschnitts-Lebensdauer für eine Küche zu bestimmen. Diese hängt maßgeblich von zwei Faktoren ab: von der Verweilzeit in einer Wohnung, die tatsächlich durch die nomadischen Wurzeln der Mongolen kürzer ausfällt als wir das von Deutschland her kennen, und von der Art der Nutzung.

Bislang stellt unser Kunde in seinem Betrieb zehn Küchen am Tag her. Im Verhältnis zu den großen internationalen (auch chinesischen) Herstellern erscheint dies lächerlich wenig. Doch der Markt ist bei etwa 50 Küchen am Tag langfristig erschöpft. Für ein größeres Wachstum bräuchte es Exportmöglichkeiten. Hier sind aber zwei geschichtliche Faktoren von Bedeutung: Die Herrscherfamilie Khan (Dschingis Khan und seine Nachfahren) hat China mit ihren Reiterheeren überrannt und auch große Teile des heutigen Russland erobert. Umgekehrt wurde die Mongolei auch von den Chinesen mehrfach angegriffen. Ebenso haben die Russen ihre Spuren hinterlassen, bis heute werden sie vor allem für das Unrecht in der sozialistischen Ära des 20. Jahrhunderts sowie für Umweltzerstörungen durch den unkontrollierten Raubbau an Bodenschätzen verantwortlich gemacht. Mongolen, Chinesen und Russen sind also nicht gut aufeinander zu sprechen. Keine besonders guten Exportaussichten für ein Land, das zu keinem anderen Staat eine direkte Grenze hat. Hinzu kommen die riesigen Entfernungen. Besonders die Russen sind schlicht zu weit weg. Das einzige Gebiet das von der Mongolei aus halbwegs gut zu erreichen ist und wo auch einige Auslandsmongolen leben, ist die Region um den Baikalsee.

Für einen mongolischen Küchenhersteller stellt also das Gebiet von Ulan-Bator den Hauptmarkt dar. Nur für hier werden fertig zusammengebaute Möbel produziert. Die Exportware in die drei anderen Städte der Mongolei sowie in die Baikalregion werden dagegen per Flat-Pack mit dem Zug oder dem Lkw transportiert. Entsprechend der überschaubaren Mengen stellt die Planung der Produktion keine besonderen Anforderungen. Sie besteht aus einer große Plattenaufteilsäge, zwei Kantenanleimmaschinen, einer Durchlaufbohrmaschine und einer flexiblen Bohrmaschine sowie einem CNC-Bearbeitungszentrum. Hinzu kommen diverse Kleinmaschinen. Nach seinem Besuch auf der Ligna in Hannover entschied sich der Kunde für Großmaschinen von Homag, insbesondere wegen guter Ersatzteilverträge, dem Softwaresupport und der durchgängigen Datenkonnektivität. Zum Beispiel „Cut-Rite“, das mit der Holzma 300 Serie ausgeliefert wird, oder „Wood-CAD-CAM“, auch zur Steuerung der anderen Maschinen wie der Homag Kantenanleimmaschine „KAL 210 Ambition“, der „Weeke BHX 500“, der „Weeke BST 500“ Durchlaufbohrmaschine, der „Weeke ABD 250“, und des „BMG Venture 320 XXL“ Bearbeitungszentrums nebst Bereitstellung entsprechender Daten.

Alle sonstigen Produktionsmöglichkeiten gehorchen dagegen sehr speziellen Regeln. Im Winter etwa ist es so kalt, dass die Autos in der geheizten Fabrikhalle geparkt werden müssen. Ausnahmslos alles muss also im Gebäude geschehen. So sind für Parkplätze und interne Logistik viel größere Flächen zu planen als sonst üblich. Zudem muss die lange Lieferkette an Material bedacht werden. Die Rohwaren kommen aus dem fernen China und werden mit der ziemlich langsamen Eisenbahn transportiert. Da die Unternehmensführung auf nachhaltige Qualität achtet, wird die Ware nur nach erfolgreicher Eingangskontrolle angenommen. Abgelehntes Material darf aber nicht im Weg stehen und so zum Stillstand der Fabrik führen.

In Sachen Platzbedarf gilt Ähnliches für die fertigen Produkte. Bei den hohen Ausfallquoten der Transporter durch Wetter, schlechte Straßen, Staus usw. braucht es Lagerflächen zum Puffern. Hinzu kommt ein typisch mongolisches Problem: Die Lieferung einer bestellten Küche zum vereinbarten Termin funktioniert nicht immer, denn der Käufer kann plötzlich für längere Zeit die Stadt verlassen, um zum Beispiel die Herde im Heimatdorf zu hüten oder sich um die Landwirtschaft zu kümmern.

Der Teufel steckt auch beim Informationsfluss vom Showroom bis zum Liefer- und Tourschein im Detail. Der Showroom überträgt derzeit nur 3D-Animationen in die Fabrik. Diese „zerlegen“ die Arbeiter dann selbst in ihre Einzelteile, fertigen danach die Rohteile an und setzen diese dann an verschiedenen Arbeitsstationen zum Endprodukt zusammen. Eine solche Mentalität aufzubrechen und Schritt für Schritt in eine stringente Arbeitsvorbereitung und in eine sinnvoll-arbeitsteilige Werkstattarbeit zu überführen, ist eine große Herausforderung.

Allerdings kommt den Mongolen zugute, dass sie sich sehr am europäischen Möbelmarkt orientieren. Somit ist die Nachfrage nach Sonderlösungen gering, deutsche Maschinenstandards können beispielsweise voll ausgenutzt werden. Das Qualitätsniveau ist zwar tiefer als in Europa, aber besser als in China. Die Anforderungen der Kunden sind hoch, entsprechend gefragt sind funktionale und wertige Möbel. Weil hier das Angebot (noch) nicht ausreichend ist, sind koreanische Hersteller mit hoher Qualität und gutem Preis stark auf dem Markt vertreten.

Um die Produktion nun ganzheitlich zu betrachten, bearbeitet Schuler Consulting drei Themenschwerpunkte gleichzeitig: Fabrikplanung, Standardisierung und Informationsfluss. Alle drei Themen werden im Layout und in den Schulungen der Geschäftsführung des Kunden sowie in kleinen Gruppen den verantwortlichen Mitarbeitern vorgestellt. Diese nehmen außerdem an Schulungen der Maschinenhersteller teil und erhalten die Chance, zum Beispiel in Deutschland auch andere Fabriken unter der Berücksichtigung ihrer Themenschwerpunkte zu besichtigen. Nachhaltiges Training erhält einen immer höheren Stellenwert, in der Beratung und als Anfrage von den Unternehmenseigentümern.

Zusammenfassend muss ich sagen: Die Mongolei ist einfach spannend! Die Menschen sind extrem wissbegierig. Viele sprechen gutes Englisch, was eine große Erleichterung ist, denn mit Chinesisch und Russisch kommt man nicht weit. Ich freue mich auf weitere Reisen und bin gespannt auf weitere interessante Kontakte und Begegnungen.Tim LangerockDer Autor ist Holz- und Wirtschaftsingenieur und seit gut zwei Jahren für die Beratungsfirma Schuler Consulting in China tätig.

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